Lecanemab – Ein neuer Wirkstoff zur Behandlung des Morbus Alzheimer?

Die Anhäufung von Amyloid-beta im Gehirn scheint den pathologischen Prozess bei der Entstehung der Alzheimerschen Erkrankung zu initiieren oder zu fördern. Lecanemab ist ein IgG1 monoklonaler Antikörper, der sich mit hoher Affinität an lösliche Amyloid-beta Protofibrillen bindet. Der Wirkstoff agiert somit auf Grundlage einer passiven Immunisierung.

In einer multizentrischen, doppelt verblindeten Phase-3-Studie wurden 1795 Patienten zwischen 50 und 90 Jahren eingeschlossen, die milde Alzheimer Symptome zeigten und bei denen entweder in einer Positronen-Emissions-Tomografie oder durch Liquorentnahme Amyloid festgestellt werden konnte. Jeweils eine Behandlungsgruppe erhielt über 18 Monate alle 2 Wochen Lecanemab intravenös oder ein Placebo.

Untersucht wurden dann als primärer Endpunkt nach 18 Monaten der „Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes (CDR)“, bei dem die Daten aus Informanten- und Patienteninterviews ermittelt werden. Sechs Bereiche werden zur Erstellung des CDR-Gesamtwerts verwendet: Gedächtnis, Orientierung, Urteilsvermögen und Problemlösung, Gemeinschaftsangelegenheiten, Haushalt, Hobbys sowie Körperpflege.
Wichtige sekundäre Endpunkte waren: die Veränderung der Amyloid-Belastung beim PET, die Punktzahl auf der 14 Punkte umfassenden kognitiven Subskala des Alzheimer’s Disease Assessment Scale (ADAS-cog14) und der ADCS-ADL bewertet die Kompetenz von Patienten mit Alzheimer-Krankheit bei alltäglichen Aktivitäten. Er kann von einer Pflegekraft im Fragebogenformat ausgefüllt oder von einem Kliniker/Forscher in Form eines strukturierten Interviews mit einer Pflegekraft durchgeführt werden.

Lecanemab reduzierte die Amyloid-Marker bei der frühen Alzheimer-Krankheit und führte nach 18 Monaten zu einer mäßig geringeren Verschlechterung der Kognition und Funktion in der Behandlungsgruppe-Gabe.
Sie belief sich in dieser Phase-3-Studie auf 27 Prozent nach 18 Monaten, was als milde Reaktion eingestuft wurde.

Die Studie brachte kein eindeutiges Ergebnis, wie stark dieser Effekt für Betroffene im Alltag bezüglich ihrer kognitiven Fähigkeiten einzuschätzen ist.
Ob die US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA den Zulassungsantrag in einem beschleunigten Verfahren prüfen wird, entscheidet sich bis Januar 2023. Die Hersteller streben auch in Europa ein beschleunigtes Zulassungsverfahren an. Bis der Wirkstoff in Europa auf den Markt kommen könnte, wird aber voraussichtlich noch ein Jahr vergehen.

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Quelle:
van Dyck CH, Swanson CJ, Aisen P, Bateman RJ, Chen C, Gee M, Kanekiyo M, Li D, Reyderman L, Cohen S, Froelich L, Katayama S, Sabbagh M, Vellas B, Watson D, Dhadda S, Irizarry M, Kramer LD, Iwatsubo T. Lecanemab in Early Alzheimer’s Disease. N Engl J Med. 2022 Nov 29. doi: 10.1056/NEJMoa2212948. Epub ahead of print. PMID: 36449413.

Anti-CD19-CAR-T-Zelltherapie therapie-refraktärem bei SLE mit einmaliger Dosis hochwirksam

Systemischer Lupus erythematodes (SLE) ist eine lebensbedrohliche Autoimmunerkrankung, die durch adaptive Aktivierung des Immunsystems, Bildung von doppelsträngigen DNA-Autoantikörpern und Organentzündung, auch mit schweren Verläufen am Auge gekennzeichnet ist.

Fünf junge Patienten mit SLE (vier Frauen und ein Mann) mit einer Krankheitsdauer von 4 bis 8 Jahren und aktiver Erkrankung wurden in diese kleine Studie eingeschlossen.
Alle 5 Studienteilnehmer, die auf immunsuppressive Therapien nicht (mehr) gut ansprachen, wurden in ein Compassionate-Use-Programm für chimäre Antigenrezeptoren (CAR) T-Zellen aufgenommen.

Autologe T-Zellen von Patienten mit SLE wurden mit einem lentiviralen Anti-CD19-CAR-Vektor transduziert, expandiert und in einer Dosis von 1 × 106 CAR-T-Zellen pro kg Körpergewicht in die Patienten, nachdem die T-Zellen mit Fludarabin und Cyclophosphamid massiv reduziert wurden (Lymphdepletion), einmalig reinfundiert.
In vivo vermehrte CAR-T-Zellen führten zu einem erheblichen Schwund von B-Zellen, einer Verbesserung der klinischen Symptome und einer Normalisierung der Laborparameter, einschließlich der Serokonversion von Anti-Doppelstrang-DNA-Antikörpern. Eine Remission des SLE gemäß den DORIS-Kriterien wurde bei allen fünf Patienten nach drei Monaten erreicht.

Eine arzneimittelfreie Remission wurde während einer Nachbeobachtungszeit von bis zu 12 Monaten nach Verabreichung von CAR-T-Zellen beobachtet. Wieder auftauchende B-Zellen waren naiv und zeigten keine B-Zell-Rezeptoren. Die Behandlung mit CAR-T-Zellen wurde mit einem leichten Zytokin-Freisetzungs-Syndrom gut vertragen.

Diese Daten deuten darauf hin, dass der CD19-CAR-T-Zelltransfer bei SLE durchführbar, tolerierbar und hochwirksam ist.

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Quellen:
Mackensen, A., Müller, F., Mougiakakos, D. et al. Anti-CD19 CAR T cell therapy for refractory systemic lupus erythematosus. Nat Med 28, 2124–2132 (2022).
https://doi.org/10.1038/s41591-022-02017-5

Die schnelle Kampimetrie: neues Screening-Tool zur Glaukomerkennung?

Eine der wichtigsten Funktionen der Netzhaut – die Wahrnehmung schneller Bewegungen – wird in der standardmäßigen automatisierten Perimetrie (SAP) und der kinetischen Perimetrie (Goldmann) aufgrund von Zeitlupe und geringem Kontrast zwischen Testpunkten und Umgebung weitgehend vernachlässigt.
Die schnelle Kampimetrie integriert schnelle Bewegung (=10°/4,7 s bei 40 cm Abstand Patient-Monitor) und hohen Kontrast in die Gesichtsfelduntersuchung (VF), um die Erkennung absoluter Skotome zu erleichtern.
Ein heller Testpunkt bewegt sich auf dunklem Hintergrund durch das zentrale 10°-Gesichtsfeld. Je nach Abstand zum Fixpunkt ändert der Testpunkt automatisch seinen Durchmesser (≈0,16° bis ≈0,39°). Diese Methode wurde bei sechs Glaukompatienten mit der SAP (10-2-Programm) verglichen.

Die schnelle Kampimetrie erwies sich als vergleichbar und möglicherweise besser bei der Identifizierung von bogenförmigen Skotomen der Makula.

Bei vier Probanden wurde ein dem Nervenfaserverlauf entsprechendes schmales, bogenförmiges absolutes Skotom nachgewiesen, welches in der SAP nicht dargestellt werden konnte.

Diese Proof-of-Concept-Studie motiviert zum systematischen Testen der Methode in einer größeren Kohorte, da sie als Screening-Verfahren in weniger als einer Minute absolute Skotome im zentralen 10°-Gesichtsfeld nachweisen könnte. Diese Eigenschaften bergen ein großes Potenzial für Cloud-Technologien und telemedizinische Anwendungen.

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Quelle:
Müller F, Al-Nosairy KO, Kramer FH, Meltendorf C, Djouoma N, Thieme H, Hoffmann MB, Hoffmann F. Rapid Campimetry-A Novel Screening Method for Glaucoma Diagnosis. J Clin Med. 2022 Apr 12;11(8):2156. doi: 10.3390/jcm11082156. PMID: 35456248; PMCID: PMC9031552.

Intravitreale Injektionen für die Geografische Atrophie (GA) bei AMD

Pegcetacoplan ist eine gezielte C3-Therapie zur Regulierung einer übermäßigen Aktivierung der Komplementkaskade, die zum Ausbruch und Fortschreiten vieler schwerer Krankheiten führen kann. Auch die Entwicklung der geografischen Atrophie bei Makuladegeneration wird einer fehlgeleiteten Aktivierung des Komplementsystems zugeschrieben.

DERBY (n=621) und OAKS (n=637) sind multizentrische, randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Studien der Phase 3, in denen die Wirksamkeit und Sicherheit von Pegcetacoplan mit Scheininjektionen bei einer breiten und repräsentativen Population von Patienten mit geografischer Atrophie verglichen werden. Das primäre Ziel der Studien ist die Bewertung der Wirksamkeit von Pegcetacoplan bei Patienten mit GA, bewertet anhand der Veränderung der Gesamtfläche der GA-Läsionen gegenüber dem Ausgangswert, gemessen anhand der Fundus-Autofluoreszenz (p-Wert kleiner als 0,05) nach 12 Monaten.

Die 14-Monats-Daten zeigten eine zunehmende und konsistente Wirksamkeit bei zwei-monatlicher und monatlicher Behandlung mit Pegcetacoplan und ein gutes Sicherheitsprofil in beiden Studien.

Pegcetacoplan wurde von der U.S. Food and Drug Administration (FDA) der Fast-Track-Status für die Behandlung der geografischen Atrophie zuerkannt.

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Quellen:
https://www.medscape.com/viewarticle/981813#vp_1
https://investors.apellis.com/news-releases/news-release-details/apellis-announces-plans-submit-24-month-phase-3-data-fda

Künstliche Netzhaut aus dem Weltall

Das in den USA stationierte Unternehmen LambdaVision verwendet ein lichtaktives Protein namens „Bacteriorhodopsin“, um eine künstliche Netzhaut herzustellen. Schon in den 90er Jahren wurden erste Studien dazu veröffentlicht. Bacteriorhodopsin wird von Halobacterium salinarum synthetisiert, einem Mikroorganismus, der mit zu den ältesten Lebensformen auf der Erde gehört. Bacteriorhodopsin hat einige Ähnlichkeiten mit Rhodopsin. Beide Proteine enthalten Retinal, ein Chromophor als Schlüssel zur Absorption von Lichtenergie.

Bei Bacteriorhodopsin wird Lichtenergie in Stoffwechselenergie umgewandelt. Wenn Licht Bacteriorhodopsin aktiviert, werden Wasserstoffionen durch eine Membran gepumpt und erzeugen einen Protonengradienten, der eine Reaktion auslösen kann. In der künstlichen Netzhaut von LambdaVision wird gereinigtes Bacteriorhodopsin auf eine Ionen-durchlässige Membran geschichtet. Schicht um Schicht wird aufgetragen, um genügend Licht zu absorbieren und einen Ionengradienten zu erzeugen, der die neuronalen Schaltkreise der bipolaren und retinalen Ganglienzellen in der Netzhaut stimulieren kann. Jede der künstlichen Netzhäute enthält 200 Proteinschichten auf einer Netzmembran.

Je glatter diese Schichten sind, desto besser funktioniert das Implantat, aber die Schwerkraft auf der Erde steht dieser idealen Formbildung entgegen.

Deshalb beschloss LambdaVision, die Machbarkeit der Herstellung seiner perfekt glatten künstlichen Netzhaut im Weltraum zu untersuchen, in der Hoffnung, dass es in der Schwerelosigkeit ermöglicht werden könnte. In Kooperation mit Space Tango, einem weltraumgestützten Forschungsunternehmen, entwarfen sie automatisierte CubeLabs, kleine fernsteuerbare Mikrolabore, um die Experimente mit Eingaben von der Erde nahezu in Echtzeit durchführen zu können. Die NASA hat das Forschungsprojekt mit fünf Millionen US-Dollar unterstützt und schickte 2018 ein erstes CubeLab zur Internationalen Raumstation (ISS), gefolgt von vier weiteren Experimenten.

Nach Rückkehr des fünften CubeLabs zur Erde zeigten erste Analysen einen Erfolg: die 200-Schichten-Netzhäute sind im Inneren regelmäßiger als die, die auf der Erde in der Schwerkraft gebildet werden konnten. Drei weitere CubeLabs sollen innerhalb des nächsten Jahres auf der ISS eintreffen. LambaVision hofft, seine künstliche Netzhaut bis 2024 für Experimente mit Patienten mit fortgeschrittener Retinitis pigmentosa zur Verfügung stellen zu können. Bei positiven Ergebnissen sollen weitere Studien zur Behandlung der altersbedingten Makuladegeneration folgen.

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Quellen:
https://www.gamingdeputy.com/gr/im-weltraum-hergestellte-netzhaut-kann-blindheit-heilen/
Chen Z, Birge RR. Protein-based artificial retinas. Trends Biotechnol. 1993 Jul;11(7):292-300. doi: 10.1016/0167-7799(93)90017-4. PMID: 7763952.
https://www.ophthalmologytimes.com/view/artificial-retina-engineered-from-ancient-protein-now-in-space