Sollte Schlafmangel als ein weiterer Risikofaktor für das Normaldruck Glaukom hinzugefügt werden?

Das primäre Offenwinkelglaukom (POWG) ist die häufigste Form des Glaukoms, wobei erhöhter Augeninnendruck (IOD) der wichtigste modifizierbare Risikofaktor ist. Allerdings entwickelt ein erheblicher Teil der Patienten trotz eines IOD im Normbereich einen glaukomatösen Schaden, ein sogenanntes Normaldruckglaukom (NTG), eine Untergruppe des POWG. Während die genaue Pathophysiologie des NTG unklar ist, deuten mehrere Studien darauf hin, dass IOD-unabhängige Faktoren, darunter vaskuläre und CSF-bezogene Faktoren, zu seiner Entwicklung beitragen können. Zunehmende Hinweise legen nahe, dass nicht nur ein niedriger Liquordruck, sondern auch Störungen der Liquordynamik bei der Pathogenese von NTG eine Rolle spielen könnten.
Auf der Grundlage von computertomografischen Zisternenuntersuchungen von NTG haben Killer et al. zuvor vermutet, dass die Sequestrierung von Liquor im Subarachnoidalraum (SAS) um den Sehnerv, wodurch eine toxische Umgebung um den Nerv entsteht, an der Entwicklung von NTG beteiligt sein könnte. Wostyn et al. spekulierten anschließend, dass zumindest einige Fälle von NTG durch einen altersbedingten Rückgang des Liquorumsatzes verursacht werden könnten, der zu einer verringerten Clearance toxischer Substanzen im SAS führt, der den Sehnerv umgibt. In jüngerer Zeit haben Wostyn und Killer die Hypothese aufgestellt, dass verschiedene vaskuläre und Liquor-bezogene Faktoren einen beeinträchtigten glymphatischen Flüssigkeitstransport und eine beeinträchtigte Clearance von Stoffwechselabfällen im Sehnerv als gemeinsamen Endweg zur Entwicklung von NTG aufweisen könnten. So können neue Erkenntnisse über die Clearance-Funktion des retrograden okulären glymphatischen Pfades (vom Gehirn zum Auge gerichtet) zu einem tieferen Verständnis der Pathogenese von NTG beitragen.
Im Jahr 2012 beschrieb ein Team um Iliff und Nedergaard erstmals das „glymphatische System“ bei Mäusen. Ihre Studie legte die Existenz eines hirnweiten perivaskulären Netzwerks nahe, das eine entscheidende Rolle bei der Entfernung interstitieller Stoffe, einschließlich Amyloid-β (Aβ), aus dem Gehirn spielt. Innerhalb dieses Systems fließt Liquor cerebrospinalis (CSF) vom SAS in periarterielle Kanäle, wo er sich mit der interstitiellen Flüssigkeit (ISF) im Parenchym vermischt. Das entstehende CSF/ISF-Gemisch wird anschließend über perivenöse Wege abgeleitet und verlässt das Gehirn schließlich durch meningeale und zervikale Lymphgefäße. Dieser Prozess wird durch Aquaporin-4 (AQP4) -Wasserkanäle erleichtert, die spezifisch in Astrozyten exprimiert werden. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass das glymphatische System des Gehirns im Wachzustand weitgehend deaktiviert ist, im Schlaf jedoch, insbesondere im REM-Schlaf (NEM = non-REM = slow-wave sleep) hochaktiv wird.
Da der Sehnerv eine Verlängerung des Zwischenhirns ist und aus entwicklungsgeschichtlicher Sicht als Teil des Gehirns betrachtet wird und da das glymphatische System des Gehirns während des Schlafs am aktivsten ist, stellt sich die Frage, ob die Clearance-Funktion des retrograden okulären glymphatischen Systems ebenfalls schlafabhängig ist und ob schlechter Schlaf folglich zu NTG beitragen könnte?
Den obigen Überlegungen folgend stellt sich weiter die Frage, ob schlechter Schlaf zu glaukomatösen Schäden beitragen könnte, indem er den Eintritt der Zerebrospinalflüssigkeit in den Sehnerv verringert und dadurch die glymphatische Clearance verringert.
Weitere Forschung ist erforderlich, um festzustellen, ob ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Schlafmangel und der anschließenden Entwicklung von NTG besteht, und um zusätzliche Erkenntnisse über die Auswirkungen von Schlafmangel auf die okuläre glymphatische Funktion zu gewinnen. Sollten sich diese Ergebnisse bestätigen, könnten sie nicht nur unser Verständnis von NTG verbessern, sondern auch Schlaf als potenziell modifizierbaren Faktor bei dessen Behandlung hervorheben. Dies wiederum könnte den Weg für neue Therapieansätze ebnen, bei denen Interventionen zur Verbesserung der Schlafqualität oder der okulären glymphatischen Funktion bei der Behandlung von NTG hilfreich sein könnten.

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Wostyn, P., Nedergaard, M. Should poor sleep be added to the list of risk factors for normal-tension glaucoma in the future? Eye 39, 1233–1234 (2025). https://doi.org/10.1038/s41433-025-03748-8