Visuelle Neuronen

Visuelle Neuronen funktionieren nicht so, wie Wissenschaftler bisher dachten

Vor fast 60 Jahren machten zwei Neurowissenschaftler, David Hubel und Torsten Wiesel, bahnbrechende Entdeckungen, wie das Gehirn von Säugetieren die Welt um sie herum visuell wahrnimmt. Ihre Arbeit beschrieb erstmals einzelne Neuronen, die sich ausschließlich als Reaktion auf wahrgenommene Motive oder Muster einschalten. Hubel und Wiesel zeigten in ihren Versuchen Katzen und Affen einfache Bilder – wie einen schwarzen Balken oder einen Punkt auf einem weißen Hintergrund. Das allgemeine von ihnen postulierte Prinzip besagt, dass beim Betrachten unserer Umwelt bestimmte Neuronen im Gehirn dafür verantwortlich sind, genaue Ausschnitte oder Muster dieses Settings zu erkennen und dass die Wahrnehmung in höheren, weiter geschalteten Zentren des Gehirnes dafür spezialisierter und feiner abgestimmt wird.
Die Ergebnisse von Hubel und Wiesel wurden mit einem Nobelpreis für Physiologie und Medizin ausgezeichnet und bildeten die Grundpfeiler neuronaler Netze, die den meisten Computeranwendungen für visuelle Erkennung zugrunde liegen.
Eine neue Untersuchung der Aktivität von fast 60.000 Neuronen im visuellen System der Maus zeigt nun aber, dass wir eigentlich davon entfernt sind zu verstehen, wie das Gehirn visuelle Eindrücke verrechnet.
Die in der internationalen Fachzeitschrift Nature Neuroscience veröffentlichte Analyse von Forschern des Allen Institute, zeigt, dass mehr als 90% der Neuronen im visuellen Kortex nicht so funktionieren, wie Wissenschaftler bisher dachten – und es ist noch nicht klar, wie sie funktionieren.
Die neurowissenschaftlichen Studien der 1950er und 60er Jahre glichen Angelexpeditionen, bei denen mal die Rute ausgeworfen wurde- Forscher jagten mit einer einzigen Elektrode durch das Gehirn, bis sie ein Neuron fanden, das zuverlässig auf ein bestimmtes Bild reagierte. Es ist so, als würde man versuchen, einen Widescreen-Film durch ein paar verstreute kleine Löcher zu schauen, sagte Koch – es wäre unmöglich, ein vollständiges Bild zu bekommen.
Die neue Analyse der Forscher ergab, dass weniger als 10% der 60.000 Neuronen untersuchten dem Lehrbuchmodell folgend reagierten. Von den übrigen zeigten ungefähr zwei Drittel eine verlässliche Reaktion, aber ihre Reaktionen waren spezialisierter, als die klassischen Modelle vorhersagen würden. Das letzte Drittel der Neuronen zeigte schon eine gewisse Aktivität, aber sie leuchteten bei keinem der Stimuli im Experiment zuverlässig auf – es ist nicht klar, was diese Neuronen tun, sagten die Forscher. Dass diese variableren, weniger spezifischen Neuronen existieren, ist keine Neuigkeit. Aber es war eine Überraschung, dass sie die visuellen Teile des Mausgehirns dominieren, sagten die Forscher. Die Forscher wiesen auch darauf hin, dass das klassische Modell aus Studien mit Katzen und Primaten stammte, die eine besserer zentrale Sehschärfe als Mäuse entwickelt haben. So ist es denkbar, dass das visuelle System der Maus völlig anders funktioniert als unser eigenes. Und trotzdem gibt es übertragbare Prinzipien aus diesen Studien, die auf unser eigenes Gehirn zutreffen könnten, sagte Buice, Associate Investigator am Allen Institute for Brain Science.


EurekAlert, 16 Dey 2019